Wunderland

Wunderland 2013 / Spiegelintarsien, in den Putz eingelassen, circa 10 qm, Konzept in Zusammenarbeit mit Selavy Oh, Ausführung Glaserei Höckenreiner, München, Kinderkrippe Gustav–Meyrink-Straße 1, Morpho-Logic Architektur und Stadtplanung, München. Die Arbeit wurde im Rahmen des Kunst-am-Bau-Programms QUIVID der Stadt München realisiert.

Woher weiß man eigentlich, dass die Person, die einem da aus dem Spiegel entgegenblickt, man selbst ist? Was für Erwachsene eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich das Ich-Bewusstsein, das uns selbst erkennen lässt, entwickelt sich, wie psychologische Untersuchungen zeigten, zwischen dem 12. und 18. Lebensmonat –  im Krippenalter. Der Spiegel ist in dieser Lebensspanne also ein Instrument der Erkenntnis.

In der Kunst spielt der Spiegel seit der Antike als Symbol und optisches Hilfsmittel eine Rolle, im 20. Jahrhundert auch als Material, etwa bei Dan Graham. Auch die Münchner Künstlerin Gesine Braun verwendet Spiegelflächen, weil sie davon fasziniert ist, dass das Spiegelbild Selbsterkenntnis und -vergewisserung bedeutet. Nun entwarf sie für die Kinderkrippe in der Gustav-Meyrink-Straße eine Wandinstallation aus Spiegeln – Titel: „Wunderland“.

Dieses Wunderland liegt am Fuße der dreiläufigen Treppe. Keine leichte Aufgabe, den quadratischen Zwischenraum zu gestalten, denn seine Wände sind unterschiedlich hoch und enden stufenförmig. Die Künstlerin entschied sich für ein raffiniertes Vexierspiel mit durchbrochenen Bändern und der spannungsgeladenen Figur der Ellipse. Sie reagiert auf die ungleichmäßige Struktur mit Formenvielfalt,  Kleinteiligkeit und erst auf den zweiten Blick erkennbarer Symmetrie. Die weiße Wand wird in Spiegel- und Putz-Fragmente zerlegt, eine doppelte Ellipse erstreckt sich über zwei Seiten, quasi um die Ecke geknickt. Und diese geknickte Doppel-Ellipse ist eine Art Schlüssel zum Kunstwerk. Hier wird deutlich, dass die Raumecken als Spiegelachsen dienen: Auf der anderen Seite zeichnen sich alle Spiegelflächen als Wand-Silhouetten ab.

So bleibt das Verhältnis von Wand und Spiegel ausgeglichen, und es wird eine Dimension gewahrt, die für kleine Menschen ohne Schrecken ist. Hier können die Krippenkinder, die teilweise auf kleinen Wägelchen die Räume erkunden, sich selbst und ihre Umgebung entdecken. Das komplexe Spiel mit Spiegelung und Schatten bleibt ihnen noch verborgen, aber Gesine Braun ermöglicht den vorsichtig-neugierigen ersten Blick ins Wunderland.

Roberta De Righi